Wer
wie ich in den großen Siedlungen des Ostens aufwuchs und erstmals
die kleinen Dörfer der Westküste bereist, erlebt die Unbeschwertheit
der hiesigen Bevölkerung wie im Rausch. Unglaublich, in welcher
Harmonie die kleinen Herden zusammenleben, obwohl ihre Angehörigen
keine gemeinsame Abstammung bindet.
Es kostet mich einige Mühe, mir ins
Gedächtnis zu rufen, dass die meisten dieser Leute die Nachfahren
von Bridaniin sind, die wegen schwerer Vergehen aus ihre Herden
ausgestoßen wurden. In zahlreichen Gesprächen stellte ich fest,
dass die älteste hier lebende Generation einen Schlussstrich unter
ihrem vorherigen Leben gezogen hat und nur Wenige ihren Kindern
davon berichten. Unter den Enkeln, die teilweise in meinem Alter
sind, und erst recht unter den aus ihren Wiegen und Tragetaschen
quäkenden Urenkeln scheint niemand etwas von der dunklen Vorgeschichte
zu wissen. Selbstverständlich habe ich den Wunsch der Ältesten respektiert,
mit meinem Wissen nicht hausieren zu gehen.
Es ist seltsam, doch das Unterstützen
einer Vergebung durch Unwissen hat es mir sehr erleichtert, die
Lebensphilosophie dieser Bridaniin zu verstehen. Sie stellen keine
Ansprüche an ihr Leben, und das Wenige, was sie brauchen, geben
ihnen die See und die küstennahen Felder im Überfluss. In ihnen
ist kein Ehrgeiz, ihre Herde zu vergrößern, doch sie heißen jene
willkommen, die unter ihnen leben wollen und ihre einfachen Regeln
beachten.
Auch ich, der als Reisender ihre Siedlungen
besucht, wurde freundlich aufgenommen. Es kostete mich jedes Mal
aufs Neue viel Mühe, mich von der Gastlichkeit einer Siedlung zu
lösen und dem Küstenverlauf zur nächsten zu folgen. Mein Antrieb
war inzwischen mehr die Neugier, welche neuen Eindrücke mich im
nächsten Dorf erwarten mochten, als die Mission, die mich herführt.
Längst weiß ich, dass sich diese Bridaniin
dem Kampf gegen die Eroberungsarmee des Schirmherrn nicht anschließen
werden, so wie sie sich überhaupt zu keiner Seite bekennen, obwohl
Berichte des Kampfes auch zu ihnen gedrungen sind. Irgendwie bin
ich froh darüber, denn sollte sich die Frontlinie jemals hierher
verschieben, werden diese Leute ebenso wenig behelligt werden, wie
alle anderen Herden, die sich den Eroberern nicht entgegenstellen
wollten oder konnten. Was ich nicht weiß ist, ob nicht bereits eine
Garnison – sei es nun eine der unseren oder eine des Schirmherrn
– genügen würde, um diesen einfachen Gemütern ihre Unbeschwertheit
zu nehmen.
Die Siedlung, in der ich mich zu dieser Zeit aufhielt, unterscheidet
sich äußerlich kaum von denen, die ich zuvor besuchte. Sie liegt
in Küstennähe, wird aber durch ein paar wassernahe Erhebungen und
ein zähes Gehölz gegen die See abgeschirmt.
Die Häuser tragen dem warmen, manchmal
für mein Empfinden etwas zu warmen Klima und den zeitweise starken
Regenfällen Rechnung. Sie bestehen aus zahlreichen starken, in den
Boden gerammten Pfosten, die in doppelter Mannshöhe ein schräg abfallendes
Dach tragen. Der Fußboden besteht aus grob zugehauenen Bohlen und
beginnt erst eine Armlänge über der Erde. Aus Schilf geflochtene
Matten verbergen das rohe Holz und dämpfen das Geräusch der Schritte.
Wände gibt es keine, statt dessen
eine Art Geländer, dessen Streben gleichermaßen mit Schilfmatten
durchwirkt sind. Vorhänge, entweder ebenfalls aus feinem Schilf
geflochten oder aus einer mir unbekannten Pflanzenfaser gewebt,
können aufgezogen werden oder ersetzen festgezurrt bei sehr schlechter
Witterung die festen Wände.
In den Häusern leben üblicherweise
alle Generationen einer Familie zusammen, wie ich es auch meiner
Heimat kenne. Privatsphäre ist allerdings nicht gegeben und hier
auch gar nicht erforderlich, denn das Haus dient nur als Schlafplatz
und Unterschlupf bei Regen und als Aufbewahrungsort der bescheidenen
Habe. Die Zubereitung und Einnahme der Mahlzeiten erfolgt ebenso
unter freiem Himmel wie das ganze sonstige Leben.
Auch die Kleidung der Leute trägt
den Lebensumständen und der Lebensweise Rechnung. Bridaniin sind
an sich nicht wasserscheu, aber die Hiesigen leben in einer Weise
aus und mit der See, die selbst mir als Kind einer Hafenstadt neu
ist. Statt derber Roben, wie sie bei Wanderungen durch die endlose
Steppe nötig sind, werden hier von Männern wie Frauen Schurze getragen,
die bis kurz über die Knie reichen und unseren Unterröcken ähneln.
Das helle Gewebe aus Pflanzenfaser nimmt nicht viel Wasser auf und
behindert im Ozean ebenso wenig wie an Land. Während die Männer
überwiegend mit freiem Oberkörper herumlaufen oder gelegentlich
mit ärmellosen Westen bekleidet sind, winden sich die Frauen ein
oftmals buntes Tuch um den Oberkörper. Gelegentlich sehe ich auch,
dass ein großes Tuch mehrfach um den Körper gewunden und unter den
Armen verknotet wird; anschließend reicht es noch bis knapp unter
die Knie.
An Schmuck bemerke ich überwiegend
Muschelketten, die teilweise sehr schöne und komplexe Muster in
Farbe und Form aufweisen. Auch kunstvoll geschliffene Schmucksteine
werden von Manchen getragen, wobei ich davon ausgehe, dass es sich
dabei um mitgebrachte Erbstücke oder um eingetauschte Ware handelt.
Die Bridaniin selbst sind ein buntes
Gemisch aus den verschiedensten Regionen. Gerade bei den Greisen
traue ich mir zu, ihre Herkunft sehr genau zu bestimmen, bei der
nachfolgenden Generation wurde es aufgrund der Durchmischung schon
schwieriger, bei den dritten oder gar der vierten Generation müsste
ich entweder raten oder Familienforschung betreiben.
Als ich am späten Nachmittag in jener Siedlung eintraf, kamen Fischer
gerade mit großen Ballen geernteten Seegrases zurück, während die
meisten Dorfbewohner mit der Vorbereitung eines kleinen Festes beschäftigt
waren, das als eine Danksagung an die Geister für die reiche Ausbeute
gedacht war.
Die hier verehrten Geistwesen unterscheiden
sich von jenen, die auch anderswo bekannt sind, lediglich in der
Aussprache ihrer Namen und Einzelheiten ihrer Funktion. Das wunderte
mich nicht, denn schließlich stammt die Bevölkerung ursprünglich
aus allen Winkeln Bridans.
Das Fest selbst war eine ausgelassene
Angelegenheit, bei der ich möglicherweise den einen oder anderen
Fingerhut des hiesigen Branntweins zuviel gekostet habe. Ernstlich
angetrunken bin ich allerdings nicht, denn schließlich besaß ich
noch gegen Ende des Festes genug Geistesgegenwart, unter Verweis
auf meine Mission höflich abzulehnen, als sich ein lediges Mädchen
für mich interessierte. Wie in den meisten Herden meiner Heimat
ist es auch hier üblich, um Neuzugänge zu werben, welche die Blutlinien
stark halten. Nicht, dass es angesichts der Zusammensetzung dieser
Herden nötig wäre, aber wie so oft werden viele Traditionen auch
ohne die dahinter stehende Notwendigkeit beibehalten.
Auch ein zwangloses Abenteuer schien
mir nicht ratsam, da ich bereits jetzt zuviel von der Distanz verloren
habe, die ich für die Erfüllung meines Auftrags bräuchte. Wenn ich
in die Hauptstadt zurückkehre und davon abrate, diese Leute in irgendeiner
Weise einzubeziehen, möchte ich so unbefangen sein, wie es mir jetzt
noch möglich ist.
Irgendwann hatte sich der Trubel gelegt, der bis in die Nacht hinein
für Bewegung in der Siedlung sorgte. Ich stehe an das seeseitige
Geländer des Gästehauses gelehnt und lasse den Blick und meine Gedanken
schweifen.
Die Feuer zwischen den Häusern sind
heruntergebrannt und nur an einigen Stellen sorgt Restglut für einen
rötlichen Schimmer. Gelegentlich enthüllte der schwache Schein einige
Dorfbewohner, die eng umschlungen in Richtung des Strandes unterwegs
waren. Dort fehlte die Anonymität der Masse ebenso wie eine stille
Ecke in den Häusern, in der Liebende für sich sein könnten, und
so bin ich sicher, dass zumindest die Jugend des Dorfes ihre Stellen
außerhalb der Siedlung gefunden hat. In meiner Heimat gibt es das
nicht, dort sind die Bewohner von Siedlungen dieser Größe in der
Regel nahe Verwandte.
Ich richte mein Augenmerk auf den
Nachthimmel, den ich in der offenen Steppe so klar wie hier nur
in wenigen Nächten gesehen habe. Meine Heimatstadt Ughaal, die Hauptstadt,
liegt an der Küste des Chardedek, doch lässt sich der offene Himmel
über dem Binnenmeer nicht mit dem sternenübersäten Dach vergleichen,
dass sich über den endlosen Ozean spannt.
Unwillkürlich frage ich mich, ob dieser
Anblick in den Bewohner der Küste jemals die Sehnsucht nach dem
Ort geweckt hat, an dem der Himmel ins Meer übergeht.
Es gab unter früheren Regenten mindestens
zwei belegte Expeditionen, die zum Ziel hatten, das zu erkunden,
was hinter dem Ozean lag. Keines der Schiffe war zurückgekehrt,
und seitdem hatte sich vermutlich niemand außer Sichtweite der heimischen
Küste auf den Ozean hinausgewagt. Zu der Angst vor den unbekannten
Schrecken gesellt sich der Umstand, dass die Einheimischen nur über
kleine Boote verfügen und es für die Regenten Bridans einen erheblichen
Aufwand bedeutet, fernab des Kernlandes das Leben fähiger Forscher
sowie erhebliche Mittel für eine Sache einzusetzen, bei der kein
Nutzen absehbar ist.
Da die Furcht der Efhiri vor offenen
Gewässern legendär ist und die Amesha neben fehlendem Forscherdrang
noch nicht einmal Seefahrt kennen, ist auch von den anderen Mitgliedern
der jungen Allianz nicht zu erwarten, dass sie die Rätsel lösen
werden, welche die endlose Weite des Ozeans stellt. Ganz zu schweigen
davon, dass die Verteidigung unserer Heimat auf unbestimmte Zeit
alle Kräfte binden wird.
"Warum so nachdenklich, Chronist?"
Ich kann kaum verhindern, dass ich
erschrocken zusammenfahre, als ich hier, in der tiefsten Provinz
im Dialekt des Kernlandes angesprochen werde. Noch dazu hatte ich
nicht bemerkt, dass sich jemand näherte.
Langsam wende ich mich zu der Sprecherin
um, die in diesem Augenblick aus dem Halbschatten eines Pfostens
in das spärliche Licht trat, das die Sterne und die Glut der verlöschenden
Feuer spendete. Doch es genügt, um zu erkennen, wen ich vor mir
habe.
"Was führt Euch her, Shzis?",
frage ich im neutralen Tonfall, der mir um so schwerer fällt, als
sie sich direkt neben mich stellt. Das Wissen um die Profession
dieser Besucherin machte es schwer, nicht unruhig zu werden.
"Ich hörte in einem Dorf weiter
nördlich, dass Ihr im Auftrag des Regenten die Küste bereist. Ich
habe einige Informationen, die Ihr auf Eurem Rückweg den Truppen
der Allianz zukommen lassen könntet."
"Mein Reiseplan sieht vor, dass
ich noch die Siedlung aufsuche, aus der Ihr kommt."
"Davon rate ich dringend ab.
Kurz nach meiner Abreise dürfte dort ein Stoßtrupp des Schirmherrn
eingetroffen sein. Das ist es, was ich Euch wissen lassen wollte
und was auch die Allianz erfahren sollte."
"Ich wusste nicht, dass er schon
jetzt so weit nach Westen vorgedrungen ist."
"Nachdem die Streitkräfte des
Schirmherrn auf ihrem Vormarsch nach Süden gestoppt wurden und die
östliche Flanke durch die Efhiri in ihren Wäldern zu gut geschützt
ist, war es nur eine Frage der Zeit, bevor sie es im Westen versuchen.
Ich nehme an, das ist der Grund für Eure Reise?"
Ich zögere, ihr zu antworten und überlegte,
wie weit ich Shzis vertrauen darf. Sie hat der Allianz als freischaffender
Kurier, Spion und gelegentlich auch als Attentäterin gute Dienste
geleistet. Mir ist bekannt, dass ihr viele Befehlshaber der Allianz
vertrauen, aber ich weiß auch, dass sie mit einigen davon das Nachtlager
geteilt hat. Das galt auch für einige Streiter aus dem Heer des
Schirmherrn, nur dass diese das Privileg zumeist mit dem Leben bezahlten.
"Ich soll prüfen, ob die Bevölkerung
der Westküste fähig und willens ist, die Blockade nach Norden hin
zu vervollständigen."
"Und?"
Ich schüttele den Kopf. "Die
Bridaniin hier wären schlechte Soldaten. Sicher wissen sie sich
ihrer Haut zu wehren, aber ein Krieg? Nein, nicht diese Leute."
"Es freut mich, dass nicht ich
Euch davon überzeugen muss."
Ich bemerke die Erleichterung in ihrer
Stimme, die mich irritiert, und ich höre auch die unterschwellige
Drohung heraus, die mir einen kalten Schauer über den Rücken jagt.
Und dann ist da noch etwas in ihrer
Stimme, dass ich erst zuordnen kann, als sie sich schwer atmend
auf das Geländer stützt. Jetzt nehme ich auch den leichten Blutgeruch
wahr, für dessen Warnwirkung Bridaniin schon immer eine gutes Gespür
hatten.
"Seid Ihr verletzt?"
"Es ist nichts", wehrt
sie ab. "Ich ..."
"... kann mich kaum noch auf
den Beinen halten", vervollständige ich Ihren Satz.
Die Feuerschale auf dem Geländer enthält
nur wenig Glut, aber ich muss nur ein paar bereitliegende, gölte
Späne hinzugeben, um ausreichend Licht zu erhalten. Selbst im gelblichen
Schein der Flamme sehe ich, wie blass meine Besucherin ist, und
schließlich bemerkte ich auch ihr Bemühen, mit einem leichten Tuchüberhang
ihre linke Körperhälfte zu verdecken.
Ungeachtet der möglicherweise für
mich schmerzhaften Konsequenzen ziehe ich das Tuch weg und enthülle
eine übel aussehende Wunde unter ihrem linken Schulterblatt. Ich
kenne diese Art von Verletzung: Die Kriegspfeile, die mit bridanischen
Flinten verschossen werden, haben Spitzen mit Widerhaken, und solche
ausgefransten Wunden entstehen, wenn man sie unsachgemäß entfernte.
"Ich hatte auf dem Weg hierher
einen Zusammenstoß mit Spähern des Stoßtrupps", zischt sie.
"Seid Ihr nun zufrieden?",
"Keineswegs. Ich verstehe nur
nicht, warum ihr Efhiri euch so schwer damit habt, Verletzungen
gegenüber Fremden zu zeigen, die euch helfen könnten."
"Aus dem gleichen Grund, aus
dem ihr Bridaniin nervös werdet, wenn ihr Efhiri Fleisch essen seht."
Sie atmet scharf Luft durch die Nase ein. "Außerdem bin ich
zur Hälfte Bridaniin, wenn Ihr Euch erinnert."
"Deshalb könntet Ihr Euch von
den Dorfbewohnern helfen lassen."
"Das letzte Mal wurde es schlimmer
durch eine bridanische Heilsalbe, die ich nicht vertrug. Ein wenig
unterscheide ich mich von beiden Seiten meiner Herkunft."
"Auch soweit, dass Euch ein
Verband schaden würde?"
Ihre Antwort besteht aus einem schmerzerfüllten
Keuchen, bevor ihre Beine nachgeben. Ich fange ihren Sturz auf und
bemerke, dass sie das Bewusstsein verloren hat.
"Stur bis in den Tod",
murmele ich, während ich sie zu einem freien Lager trage. Ihr Gewicht
war so gering, wie es angesichts ihrer Körpergröße zu erwarten war,
verstärkt durch den Umstand, dass ihre Muskeln jede Spannung verloren
hatten.
Es ist nicht leicht, sie in eine Position
zu bringen, in der sie nicht auf der Verletzung liegt, noch atmen
kann und nicht etwa erstickte, falls sie sich übergeben sollte.
Efhiri übergaben sich angeblich nicht, aber wer wusste schon, wie
es bei Mischlingen ist? Ich bin gewiss kein Arzt, hatte aber schon
vor Jahren Unterricht im Nötigsten genommen, das auf Reisen nötig
ist. In meinem Gepäck befinden sich Verbandmaterial und Alkohol
zur Wundreinigung, von dem ich sicher weiß, dass er auch Efhiri
– jedenfalls bei äußerlicher Anwendung – nicht schadete.
Ihre Bewusstlosigkeit ist so stark,
dass sie nicht einmal beim vermutlich recht schmerzhaften Auswaschen
der Wunde erwacht. Mir ist es recht, da ich so einen kunstgerechten
Verband anlegen kann, ohne mich mit dem Stolz der Attentäterin oder
ihren Messern auseinandersetzen zu müssen, die ich sicherheitshalber
zusammen mit ihrem gesamten Waffengürtel außer Reichweite abgelegt
habe.
Sie erwacht, als ich den letzten Knoten
des Verbandes knüpfe. Zumindest bemerkte ich erst dann, dass sie
erwacht ist und mich mit überraschend klarem Blick mustert –
jedenfalls, soweit man angesichts ihrer tiefschwarzen Augen von
einem klaren Blick sprechen kann.
"Seltsam", murmelt sie.
"Bei unseren bisherigen Begegnungen hatte ich das Gefühl,
es würde Euch nicht stören, mich tot zu sehen."
"Ihr seid sehr nützlich für
die Allianz", entgegne ich kaltschnäuzig. "Ihr habt
nicht allzu viel Blut verloren und die Wunde selbst sieht schlimmer
aus, als sie gefährlich ist, wenn man sie nur gut versorgt. Ich
will den Dorfbewohnern nicht erklären müssen, wie eine fremde Leiche
in dieses Haus kommt."
Sie hebt den Kopf und ihr Lächeln
entblößt ein paar angedeutete Fangzähne, die unter meinem Panzer
aus besserem Wissen erneut eine bridanische Urangst, die Angst des
Pflanzenfressers vor dem Raubtier, wecken.
"Die Dorfbewohner kennen mich
besser als Euch. Habt Ihr Euch nicht gefragt, warum ich von der
Anwesenheit eines Ortsfremden erfuhr und Ihr nicht von mir? Ich
errege kein Aufsehen, weil ich bereits öfter hier war."
"Aus welchem Grund?"
"Ich schätze den Frieden der
Gegend und die Friedfertigkeit ihrer Bewohner."
Ich runzele andeutungsweise die Stirn.
"Seltsam, so etwas ausgerechnet von Euch zu hören."
"Euch führt ein Auftrag und
Eure Neugier hierher, mich lockt das Fehlen eines Auftrags und der
Wunsch nach Ruhe. Was ist daran seltsam?"
"Verzeiht. Vermutlich war meine
bisherige Einschätzung Eures Charakters zu einseitig."
"Vermutlich beruht das auf Gegenseitigkeit."
Sie lässt den Kopf zurücksinken und schließt die Augen. "Danke,
dass Ihr Euch um meine Verletzung gekümmert habt. Bitte lasst uns
das Gespräch zu einer anderen Zeit fortführen – so, wie es
jetzt aussieht, werdet Ihr morgen früh aufbrechen wollen und braucht
den Schlaf ebenso wie ich."
Ich nicke. "Ihr habt recht.
Gute Nachtruhe."
Sie antwortet nicht und aus ihren
regelmäßigen Atemzügen schließe ich, dass sie sofort eingeschlafen
sein muss.
Ich lösche das Licht und suche mir
ein Lager in respektvollem Abstand zu ihrem.
Als ich erwache, suche sich die Sonne gerade ihren Weg über den
Horizont und scheint den Ozean in Flammen zu setzen.
Ich bin nicht allzu überrascht, Shzis’
Lager Schlafstatt verlassen vorzufinden.
Das Zusammensuchen meines Gepäcks
und der Abschied von meinen Gastgebern nimmt nicht viel Zeit in
Anspruch, und bald befinde ich mich im Laufschritt Richtung Südosten.
Ich bin gut ausgeruht und die Entfernung weicht jenem trabenden
Lauf, den Bridaniin Stunden durchhalten können, sofern sie nicht
auf Alte und Kinder Rücksicht nehmen müssen. Ich halte nur eine
längere Rast, als die größte Mittagshitze ein Fortsetzen des Laufs
ohnehin verbietet.
Gegen Abend erreiche ich eine befestigte
Siedlung, in der sich bereits zwei Hundertschaften der Allianz gesammelt
haben. Die Nachrichten, die ich bringe, tragen den Krieg an die
Westküste, dessen bin ich gewiss.
|