Vergangenheit und Zukunft
Wir
Bridaniin sind die Bewohner von Bridan und stellen die größte Zahl vernunftbegabter Wesen der bekannten Welt, selbst wenn man
die riesige Zahl an Ur-Bridaniin nicht mitzählt, die das Reich
des Schirmherrn bewohnen. Inzwischen gilt es als sicher, daß
wir Bridaniin Niella-Chatarcs aus den südlichsten Stämmen
jenes bridanischen Urvolkes hervorgingen, die einen Weg durch die Säulen der Sonne fanden. Da dieses Ereignis in
grauer Vorzeit und lange vor der Geschichtsschreibung beider
Volksteile liegt, gibt es keinerlei geschichtliche Erinnerung an
dieses Ereignis.
Heute haben wir uns sowohl gesellschaftlich als auch ideologisch
von unseren Artverwandten nördlich der Säulen, was jedoch nicht der eigentliche
Grund für die Spannungen ist. Der Schirmherr erhebt Anspruch
auf Niella-Chatarc, nachdem die Säulen der Sonne von ihm überwunden wurden, und begründet dieses mit dem Willen der "Gefangenen
Herrin", einer obskuren Gottheit, deren Glauben im Reich des
Schirmherrn gepflegt wird.
Wahrscheinlicher ist aus meiner Sicht,
daß der Druck des Eises, das langsam, aber unaufhaltsam aus
dem Norden nach Süden drängt und das Reich des Schirmherrn
immer mehr verkleinert, den Antrieb für sein Handeln darstellt.
Niella-Chatarc ist vergleichsweise dünn besiedelt und die Säulen der Sonne könnten der Kälte Einhalt gebieten, daher ist es eroberungswerter Siedlungsraum. Sicherlich spielt auch der Drang des Schirmherrn eine Rolle,
den Glauben an die Gefangene Herrin auch in Niella-Chatarc - notfalls
mit Waffengewalt - zu verbreiten.
Die Allianz der Bridaniin mit den Efhiri fußt
auf gegenseitigem Respekt, der Erkenntnis praktischen Nutzens und
inzwischen außerordentlich komplizierter sozialer Bande, weshalb
selbst in Bridan kaum jemand Bedenken hat, sich auch in Zukunft
gegen die eigenen Artgenossen zu stellen, so lange deren Absichten
und Einstellungen mit der unseren unvereinbar bleibt.
Physis
Unsere Heimat sind die weiten Savannen und Steppen Chatarcs, wofür
wir von der Natur optimal ausgestattet wurden. Unsere kräftigen
Hinterläufe sind dafür geeignet, sowohl weite Strecken
zurückzulegen als auch in kürzester Zeit hohe Geschwindigkeiten
zu erreichen; unsere Sprungkraft ist auf Weite ausgelegt. Ein robuster
Knochenbau schützt uns vor Verletzungen, selbst bei schweren
Stürzen. Wir sind gute Schwimmer und vertragen auch unangenehme
Witterung.
Die Sinneswahrnehmung meines Volkes stützt sich hauptsächlich
auf die Augen, die auch über große Entfernungen Einzelheiten
und Farben wahrnehmen können. Gleich danach kommt der Geruchssinn,
der schon unsere Vorfahren zuverlässig an die Wasserstellen
führte. Unser Gehör steht hinter diesen beiden Sinnen
zurück. Nase und Augen sind so ausgelegt, dass sie durch den
Staub der Steppe keinen Schaden nehmen.
Nahrung
Unsere Hauptnahrung ist pflanzlich, lediglich Schwangere und nach
längerer Krankheit geschwächte Bridaniin verzehren Fleisch,
um sich schnell mit den nötigsten Stoffen zu versorgen. Daß
es nicht unsere natürliche Nahrung ist, mag man daran erkennen,
daß unsere Körper bestrebt sind, Fleisch möglichst
schnell auf dem Wege wieder abzugeben, auf dem es aufgenommen wurde.
Bereits unsere Vorfahren waren Nomaden, die dorthin gingen, wo sie
genug Nahrung fanden. Heute ermöglicht uns eine angepaßte
Landwirtschaft den Bau fester Siedlungen, doch noch immer ist unser
Wandertrieb sehr stark ausgeprägt.
Fortpflanzung, Sexualität und Lebensgemeinschaften
Wir Bridaniin pflanzen uns zweigeschlechtig fort, wobei sowohl
Männer als auch Frauen zwar ganzjährig zur Paarung in
der Lage, jedoch im Schnitt nur 10 bis 15 Mal im Jahr fruchtbar
sind.
Da wir Bridaniin jedoch eine sehr lockere Einstellung zur Sexualität
haben und auch ungeplanter Nachwuchs einen Platz in der seßhaften
oder wandernden Herdengemeinschaft bekommt, sind wir zahlenmäßig
das größte Volk.
Das Begründen einer Lebensgemeinschaft ist ein unkomplizierter
Vorgang: Der Bezug eines gemeinsamen Zeltes oder Hauses gilt als
Beleg einer festen Partnerschaft. Normalerweise herrscht freie Partnerwahl,
allerdings mag das gesellschaftliche Ansehen beeinflussen, wie viel
Unterstützung es durch die engere Familien der Partner für
den Aufbau des neuen Hausstandes gibt.
Seit wir Kenntnis von unserem Urvolk im nördlich der Säulen
der Sonne haben, beschäftigen wir uns auch mit den dortigen
Verhältnissen im Bezug auf die Geschlechterfrage. Das Urvolk
erwartet eine Unterordnung der Frau, was unserer Auffassung widerspricht.
Soweit die Erinnerung der Bridaniin Niella-Chatarcs zurückreicht,
genossen Frauen und Männer die gleichen Rechte und hatten die
gleichen Pflichten. Eine Verschiebung der Ausgewogenheit zwischen
Rechten und Pflichten gab es seit jeher nur dort, wo natürliche
Bedingungen und Vorgänge die Situation verändern.
Politik und Gesellschaft
Soweit unsere Erinnerung zurückreicht, haben wir uns immer
als ein Volk verstanden, auch wenn es in der Vergangenheit häufig Differenzen zwischen
den einzelnen Stämmen und sogar einzelnen Herden des gleichen
Stammes gab. Da wir es jedoch sehr schätzen, wenn alles in
geregelten Bahnen verläuft, werden Störungen so schnell
wie möglich, vorzugsweise zu allseitiger Zufriedenheit beseitigt.
Unsere Konsensfähigkeit ist als direkte Folge unseres engen
und recht offenen Zusammenlebens sehr stark ausgeprägt; Entscheidungen
können daher in der Regel sehr schnell getroffen werden - auch
wenn die Entscheidungsfindung Aufgabe aller mündigen Mitglieder einer
Herdengemeinschaft liegt.
Die Einrichtung der Ratsweide gibt es sowohl bei den
nomadisierenden als auch bei den seßhaften Bridaniin. Hier
hat jeder das Recht, sich zu dem Sachverhalt zu Wort zu melden,
aus dem heraus die Versammlung einberufen wurde. Die Versammlung
kann von jedem und jeder mündigen Bridaniin einberufen werden,
allerdings besteht kein Anspruch darauf, daß es nach dem Vortragen
des Anliegens auch eine Besprechung gibt. Wenn sich eine auffällige
Mehrzahl der Versammelten demonstrativ abwendet, kann von Desinteresse
ausgegangen werden. Allerdings heißt dies nicht, daß
ein bestimmtes Anliegen nicht durchgeführt werden kann: Wenn
die Durchführung die Rechte Anderer nicht einschränkt,
genügt es, wenn ausreichend Interessierte gefunden werden,
von denen das Anliegen umgesetzt wird.
Da die Entscheidungen auf der Ratsweide einige Zeit brauchen, war
es schon seit jeher üblich, einen Anführer oder eine Anführerin
der Herde sowohl auf bestimmte Zeit als auch auf Widerruf zu wählen,
der oder die rasche Entscheidungen trifft. Bei zunehmender Herdengröße
wandelte sich dies in eine Erbführerschaft, wobei jedoch nach
wie die Möglichkeit bestand, einen Thronerben abzusetzen. Die
Absetzung beschränkt nicht das Recht dessen Verwandter und
Nachkommen, als Anwärter auf den Thron aufzutreten. Daraus
ergibt sich im Umkehrschluß einen Problemfall, für den
jedoch erst zwei historische Beispiele existieren: Gibt es keine
weiteren lebenden Angehörigen des Herrschers, ist es nicht
möglich, diesen auf traditionell legitimierte Weise abzusetzen,
sofern kein würdiger Ersatz gefunden ist.
In den großen Siedlungen wurde die Entscheidungsfindung dahin
gehend abgewandelt, daß prinzipiell aus jeder engeren Familie
nur ein Mitglied die Ratsweide aufsucht, da sonst aufgrund der schieren
Masse nichts mehr ginge. Dieses Vorgehen hat seine traditionelle
Rechtfertigung darin, daß auch in kleineren Herden jedes Familienmitglied
ein anderes vertreten kann, wenn dieses verhindert war, die Versammlung
aufzusuchen.
Recht
Wird auf der Ratsweide eine Klage gegen ein anderes Mitglied der
Herde vorgebracht, verändert sich die Prozedur ein wenig: Von
der Gesamtheit wird entschieden, welche fünf ausgewählten
Bürger den anschließenden Prozeß führen, unter
Ausschluß der Öffentlichkeit die Zeugen befragen, Beweise
sichten und anschließend über das Urteil abstimmen. Dieses
Urteil jedoch kann durch den anschließenden mehrheitlichen
Entscheid der versammelten Bürgerschaft relativiert werden.
Dadurch soll ein Kompromiß zwischen einer sachlichen Verhandlung
des Falles und der Überzeugung geschlossen werden, daß
die ganze Herde entscheidet, was Recht ist. Um ein Beispiel zu geben:
Es kommt durchaus vor, daß ein Verbrechen von den Richtern
als solches befunden, jedoch auf Ansinnen der Bürgermehrheit
auf eine Bestrafung verzichtet wird. |